„Ich begreife Räume als eine Art Dritte Haut“ – Im Gespräch mit Johanna Michel

Johanna Michel ist Designerin, Professorin und künstlerische Forscherin. Nachhaltige Materialien, grafische Elemente und das Prinzip des „Art-Crossing“ prägen ihre Arbeiten, die von filigranen Seidentüchern über raumgreifende Wandtextilien bis hin zu gestalterischen Interventionen in der Uckermark reichen.

Johanna, deine Kollektionen unter dem Label Edition Michel vereinen Kunstdrucke, nachhaltige Materialien und die Methode des „Art-Crossing“. Kannst du uns einen Einblick geben was damit gemeint ist?

Seit 2014 entwickele ich Drucke, die überwiegend auf den Bildern meines Vaters, des deutschen Künstlers Edwin Michel, basieren. Aus ausgewählten Ausschnitten seiner Gemälde und der sogenannte „Art-Crossing“, also die Einbindung der bildenden Kunst in den Gestaltungsprozess von Mode, schaffe ich Verbindungen zwischen unterschiedlichen Ausdrucksformen. Auf der einen Seite steht das jahrzehntelange Werk eines renommierten Künstlers, auf der anderen Seite die Technologie des Digitaldrucks.

Was reizt Dich daran, Mode und bildende Kunst so unmittelbar miteinander zu verbinden?
Mode und Kunst sind beides Seismographen der Gesellschaft und erzählen persönliche Geschichten.

Das Schwarze Haus von Architekt Thomas Kröger

Als Professorin an der HTW Berlin hast Du zahlreiche innovative Projekte ins Leben gerufen – von NEO.Fashion bis Fairfaktur. Welches dieser Projekte hat Deine Sicht auf Mode und Design am nachhaltigsten geprägt?
Mein Herz hängt sehr an nachhaltigen Projekten wie Fairfaktur, das Projekt hat viele Aspekte und Akteuere der nachhaltigen Mode vereint. Aber auch die AbsolventInnenförderung durch Neofashion ist mir schon immer ein großes Anliegen gewesen.

Du arbeitest nicht nur an Modekollektionen, sondern entwickelst auch architektonische Projekte in der Uckermark (Das Schwarze Haus und die kleine Acht vom Architekten Thomas Kröger und das Pirol). Was fasziniert Dich an der Idee, Räume und Textilien als Ausdrucksmittel zu begreifen?
Ich begreife Räume als eine Art „Dritte Haut“ inspiriert  von der Zwiebeltheorie des  Künstlers und Architekts Antonio Gaudi. Beides  - Textilien und Räume - sind essentiell für unser Wohlbefinden, es gibt also für mich nicht nur „kratzige Stoffe“ sondern auch "kratzige Räume“, Räume, in denen wir uns nicht wohlfühlen. Ich bin in einem kleinen Architektenhaus aufgewachsen, das sich sehr „wohlgestaltet“ angefühlt hat, das hat mich wohl geprägt.

Materialität und Haptik spielen in Deinen Arbeiten eine zentrale Rolle — sei es bei Seidentüchern oder in Deinen Architekturprojekten. Wonach entscheidest Du, welches Material zu welchem Entwurf passt?
Das ist sowohl konzeptionell wie auch intuitiv. Oft probiere ich einfach vieles aus und entscheide dann.

Das Schwarze Haus, Johanna Michel

Gibt es ein Material, dass Dich besonders inspiriert oder einen Ort, den Du unbedingt einmal in einem Deiner Projekte inszenieren möchtest?
Es gibt tolle hybride Materialien, z.B. in Japan Stoffe, die sich wie Papier anfühlen oder Textilien, die wie Metall aussehen aber dann ganz weich sind und ich liebe alle 3 dimensionalen Textilien, auch den neuen 3D Druck direkt auf Stoff. Ich finde viele Gärten toll, möchte besonders gerne mal nach Kyoto in die Gärten und dort zeichnen und fotografieren.

Wann und wo kommen Dir eigentlich die besten Ideen — eher mitten in der Stadt, beim Spaziergang in der Uckermark oder nachts am Skizzenbuch?
Unter der Dusche. ;)) Aber eigentlich bin ich immer offen. Ich liebe die Uckermark und auch das urbane Leben und die Museen in den Metropolen.

Das Pirol

Im Pirol-Projekt hast Du bewusst mit dem Spannungsfeld zwischen Rohbau und Feinschliff gespielt. Gibt es in Deinen Kollektionen ähnliche Momente des „Unfertigen“, die für Dich gestalterisch spannend sind?
Unbedingt gibt es diese Momente, nochmal betont durch die oft gefransten Kanten, das nicht nur unfertig ist sondern sogar eine Dekonstruktion der textilen Flächen, darstellen, ein „Entweben“ von Textilien. So entsteht bei den Wandbehängen vor allem etwas Ephemeres, weil das Muster sich verflüchtigt.

Deine Entwürfe — ob Mode oder Ineriordesign — wirken oft klar und reduziert, sind dabei aber voller individueller Details. Verfolgst Du ein gestalterisches Prinzip, das sich wie ein roter Faden durch Deine Arbeit zieht?
Ich kann mich oft nicht entscheiden zwischen radikaler Klarheit und maximalistischem Design, daher sehen meine Entwürfe wahrscheinlich immer eklektisch aus, manchmal gewinnt aber auch eine Richtung.

Du verbindest Lehre, Design, Kunst und Architektur. Gibt es für Dich ein Rezept, wie man verschiedene kreative Rollen produktiv zusammenbringt, ohne dabei die eigene Handschrift zu verlieren?
Darüber denke ich eigentlich gar nicht nach, meine New Yorker Freundin sagt immer zu mir "Make it Happen“. Ich verbinde meine eigene künsterische Entwicklung mit der Lehre, lasse die Studierenden an meinen Prozessen teilhaben, dadurch verlieren sie die Scheu vor dem Machen. Und das über den Tellerrand schauen in die Kunst, Architektur und Natur bekommen sie dann auch noch gleich mit.

Was tust Du, wenn Dir zwischen all den Projekten mal die Inspiration ausgeht — oder passiert Dir das gar nicht?
Eigentlich selten, es fällt mir eher immer zuviel ein und ich kann mich nicht entscheiden. Aber wenn dann gehe ich in Kunstausstellungen und Galerien – oder in die Natur.

In Deiner Karriere hast Du mit internationalen Marken wie PUMA, dem MoMA und dem Guggenheim zusammengearbeitet. Welche Erfahrungen aus diesen Kooperationen haben Dich persönlich und gestalterisch besonders weitergebracht?
Um ehrlich zu sein – das waren eher kommerzielle Projekte, die mich eigentlich wenig weitergebracht haben. Sehr mit meiner künstlerischen Entwicklung haben eher meine längeren Aufenthalte im Ausland zu tun, z.B. war ich kürzlich in Kairo für einen Monat zum Unterrichten - das hat mich sehr beeindruckt. Auch New York, Istanbul, Madrid, Peru oder Mexico waren tolle Orte und es gab dort wunderbare KünstlerInnen, die mich nachhaltig inspiriert haben.

Was treibt Dich aktuell an? Gibt es ein neues Projekt, eine Idee oder Vision, auf die Du Dich besonders freust?
Im Moment finde ich 3D Druck auf Stoff spannend und AI Design, das ist unendlich kreativ. Da könnte ich sehr viel Zeit mit verbringen, aber dann zieht es mich doch immer wieder in meinen Garten. Und mit dieser Leidenschaft ergibt sich nun auch ein tolles neues Projekt – der sogenannte römische Garten im Pirol – ein großer Garten umgeben von 5 Meter hohen Feldsteinmauern, die die verschiedenen Gebäude des Projekts miteinander verbinden. Da freue ich mich sehr drauf!

Atelier M.C →

 
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